Migration – Voraussetzung für die Entstehung einer Metropole
Berlin wird 1244 urkundlich zum ersten Mal erwähnt. Die Siedlung an Spree und Havel entwickelt sich zu einer Stadt erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, unter Herrschaft Friedrich Wilhelms von Brandenburg. Der Grosse Kurfürst aus dem Haus Hohenzollern betreibt eine pragmatisch entschlossene und reformfreudige Regierungspolitik und fördert Immigration und religiöse Toleranz: Böhmen, Polen, Holländer, vertriebene Juden aus Österreich, Hugenotten aus Frankreich, Evangelen aus Salzburg finden in das ärmliche Brandenburg ein neues Zuhause. In Berlin steigt die Einwohnerzahl von rund 6,000 um 1650 auf 57,000 im Jahre 1709. Es sind die Anfangszeiten des preußischen Königreiches.
1871 wird Berlin Hauptstadt des Deutschen Kaiserreiches. Gründerzeit, Industrialisierung, ein mehr als vier Jahrzehnte währender Frieden, der im August 1914 mit Beginn des ersten Weltkrieges endet, lassen Deutschland zu einer Weltmacht aufsteigen, Berlin zu einer Weltstadt mit Bevölkerungs-explosion: 1877 zählt die Metropole eine Million Einwohner, 1900 knapp zwei. Von diesen 2 Millionen sind nur 40 % in der Stadt geboren, der Rest stammt überwiegend aus Brandenburg, Ost- und Westpreußen, Schlesien, Pommern, Posen und Sachsen. Der Ausländeranteil beträgt 17 % (2013: 14 %).
Aus dem ferneren Osten, aus Russland, Galizien und Rumänien, kommen Juden auf der Flucht vor den Pogromen unter den Zaren, ab 1917 zunehmend Gegner und Opfer der Oktoberrevolution. 1918, nach verlorenem Krieg und Ausruf der Republik, hat Berlin 3,9 Millionen Einwohner, die 4 Millionen-grenze wird 1925 durchbrochen. Die Weimarer Republik und die Goldenen Zwanziger sind Jahre der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Instabilität, im gleichen Maße, Blütezeit für Kunst, Wissenschaft und Kultur.
1933 beginnt das dunkelste Kapitel der Stadt: Hitler wird zum Reichskanzler ernannt. Die totalitäre, rassistische und antisemitische Politik der Nationalsozialisten transformiert Deutschland in eine Diktatur der Gewalt und des Schreckens. Menschen werden aufgrund ihrer religiösen, politischen oder sexuellen Zugehörigkeit systematisch angefeindet, verfolgt und ermordet. Die jüdische Gemeinde Berlins, mit ihren 160.000 Mitglieder, wird zerstört und vernichtet. Ab 1939, mit Ausbruch des Krieges, füllt sich die Stadt mehr und mehr mit zwangsverschleppten und zwangsverpflichteten AusländerInnen, die bald 30 % der arbeitenden Bevölkerung ausmachen.
Expansionswahn und Militarisierung katapultieren das Land und Europa in die Barbarei und einem sechsjährigen Weltkrieg mit geschätzten 60 Millionen Toten. Der erbitterte Häuserkampf in Berlin ist nur der letzte tragische Akt des Konfliktes. Zwischen 1944 und 1945 verliert die Stadt 1,6 Millionen seiner Einwohner und 30 % seiner Gebäude. Am 8. Mai, bei Götterdämmerung, kapitulieren die Nazis bedingungslos: Germania, der Traum des dritten Reiches, ist ausgeträumt. Was zurückbleibt ist nicht wieder zu erkennen, die Spuren der Vielfalt sind verschwunden, die Stadt, eine gigantische Ruine. Militärkräfte der Besatzungsmächte ausgenommen, beträgt der Ausländeranteil der Bevölkerung weniger als ein Prozent. Zu keinem Zeitpunkt seit dem Toleranzedikt 1685 leben in der Stadt so wenige Angehörige von religiösen und ethnischen Minderheiten in Berlin. Das wird sich bis Anfang der Sechziger Jahre nicht wesentlich ändern.
Nach dem Krieg wird die Stadt in vier Sektoren aufgeteilt und von Briten, Franzosen, Russen und Amerikanern verwaltet. Die wachsenden politischen Differenzen unter den Siegermächten sind Einleitung eines neuen Krieges, diesmal kalt. 1949 entstehen auf deutschem Boden zwei unterschiedliche Staaten, die BRD und die DDR, und 1961, eine Mauer. Kapitalisten und Kommunisten, mit Atombomben bewaffnet, drohen nun in einer zitternden Pattsituation die gegenseitige und endgültige Zerstörung und prägen somit das Leben und die Einwohner einer Stadt, die im Epizentrum der Spannungen der Weltmächte sich befindet. Westberlin, hochsubventioniert, überlebt und entwickelt sich zu einer symbolischen und etwas heruntergekommenen Insel der Freiheit. Im Osten der Stadt herrscht die Diktatur des Proletariats, eine von Moskau gesteuerte Partei, die Andersdenkenden auch mit Hilfe eines effizienten wie brutalen Staatssicherheitsdienstes diskriminiert. Für Marx ist die Religion das Opium der Völker.
Die Stadt leidet unter der Teilung, das Wegbleiben der Ost-West Pendler paralysiert 1961 die Westberliner Wirtschaft, die in den Jahren des Wirtschaftswunders Arbeitskräfte benötigt. Zunächst sucht die Industrie und die Politik sie in Westdeutschland, lockt mit Berlinzulagen und Befreiung von der Bundeswehrpflicht, scheitert aber an zu geringen Zahlen. Ab 1964 strömen endlich (in Westdeutschland hat diese Entwicklung bereits 1955 begonnen) Hunderttausende Arbeitsmigranten in dem Westteil der Stadt. Sie kommen aus der Türkei, aus dem damaligen Jugoslawien, Griechenland, Spanien und Italien. Manche kehren schnell zurück, andere bleiben für immer. Zwischen den späten siebziger Jahren und Mitte der neunziger Jahre folgen Zigtausende Flüchtlinge aus den Krisenregionen des Libanons, Afrikas und des Balkan. In Ostberlin ist die Entwicklung eine ganz andere: neben Angehörigen der russischen Streitkräfte und politisches Personals, leben und arbeiten nur vereinzelt Tschechen, Polen und Ungarn in der Stadt.
Die friedliche Revolution 1989 leitet das Ende der SED-Diktatur und das der DDR ein. In Gemeinden und Kirchen finden DDR-Pazifisten und Oppositionelle öffentlichen Raum für ihre Förderungen nach Veränderung. Mahnwachen werden abgehalten, und mehr und mehr besucht. Die verstaubte Nomenklatura der Partei reagiert irritiert und mit Anwendung von Gewalt, ist aber letztlich auf die rasante internationale, politische und ökonomische Entwicklung der Ereignisse völlig unvorbereitet, und wird somit, in wenigen Monaten, von der Wut und Unzufriedenheit des eigenen Volkes überrannt. Am Abend des 9. Novembers 1989 ist in der Bornholmer Strasse, zwischen den geteilten Bezirken Wedding/ Prenzlauer Berg, nach 28 Jahren, die Grenze wieder offen.
Am 3. Oktober 1990 wird der Einigungsvertrag zwischen der BRD und der DDR unterschrieben. Darin sind Staatsauflösung der DDR, Beitritt zur BRD und die deutsche Einheit festgelegt. Berlin, wieder Hauptstadt eines geeinten Deutschlands, erlebt von nun an eine Renaissance. An allen Ecken der Stadt wird gebaut und renoviert, und aus aller Welt strömen zumeist junge Akteure in die Stadt.
2022 leben in Berlin etwa 3,500,000 Menschen aus 190 Ländern.
Türken: ~180.000-210.000, Polen: ~100.000, Russen: ~50.000, Palästinenser: ~30.000, Serben: ~26.000, Libanesen: ~25.000, Italiener: ~22.000, Vietnamesen: ~21.000,US-Amerikaner: ~20.000, Franzosen: ~20.000, Kasachen: ~20.000, Bulgaren: ~16.000, Ukrainer: ~16.000, Briten: ~15.000, Bosnier: ~14.000, Griechen: ~13.000, Österreicher: ~13.000, Spanier: ~13.000, Kroaten: ~12.000, Chinesen: ~12.000, Iraner: ~11.000, Thailänder: ~11.000, Syrer: ~11.000, Rumänen: ~11.000, Ägypter: ~10.000, Ghanaer: ~10.000, Israelis: ~10.000, Brasilianer: ~10.000, Inder: ~10.000, Koreaner: ~10.000.
Links:
Stadt der Vielfalt – Das Entstehen des neuen Berlin durch Migration, Sanem Kleff, Eberhard Seidel, Der Beauftragte des Senats von Berlin für Migration und Integration, Berlin 2009
Das Statistische Jahrbuch Berlin Brandenburg 2013
Wikipedia: Berlin