Der Sgodaroff Atomreaktor hatte nie einen Unfall in seiner fünfzigjährigen Dienstzeit. Eine absolut aussergewöhnliche Statistik, ein beachtliches Ergebnis. Die Schornsteine wurden mit einem wundervollen bleu angemalt, natürlich. Du hast aber, nach wie vor, den Zement der Türme. Eine wirklich beeindruckende Struktur. Erinnert an eine Gothische Kathedrale. Und die Fische, die im Kühlwasserbecken schwimmen: grösser als Pferde. Cool, interessant.
Obwohl der Sgodaroffreaktor noch nie Probleme verursacht hat, gibt es eine Minderheit von langhaarigen Störern, die behaupten, dass Nuklearenergie, zumindest indirekt, bereits tausende Menschenleben vernichtet haben soll. Diese Andersdenkenden bringen keinerlei wissenschaftlich fundierten Beweis an, um ihre These mit Fakten zu unterlegen. Verbohrt, in ihrem fundamentalistischen Eifer verschlossen, erkennen sie die Vorteile nicht an, die diese Branche tagtäglich der Gemeinschaft leistet. Leute, die sich hier länger aufhalten, brauchen einfach nur mehrmals am Tag duschen, gegen Radioaktivität, fertig, aus, das ist alles und mag stimmen, hat aber auch seine positiven Seiten, ist praktisch, sauber, hygienisch und stört nicht wirklich. Ich bin mir sicher, dass es uns allen gut gehen wird: Energie ist nämlich Liebe.
Nun lassen Sie mich aber von den besonderen Leuten sprechen, die hier arbeiten. Niemand von ihnen ist weiss, alle glücklich aufgrund der grosszügigen Bonuspakete, die vertraglich anerkannt werden. Sie bekommen subventionierte Zahnarztbesuche und Radiographien, wann immer sie wünschen. Ich habe im Kontrollraum einen Menschen mit drei Armen gesehen und einem Ohr, das so gross war wie meine Hand. Es wäre schön ebenfalls einen dritten Arm und so ausgezeichnete Hörfähigkeiten zu besitzen. Ja, wir verdienen gut, erzählt mir der P.R. Manager in der Sgodaroff Anlage. Und die Eigentümer respektieren uns, schicken uns sogar Postkarten zu Weihnachten zu. John geht zur grossen Maschine. In diesem computerkontrollierten Umfeld ist der einzig mögliche Fehler, der Menschliche. Wir opfern die Zukunft für die Gegenwart, um zu maximieren, sagt mir der dienst habende Chefingenieur, und produzieren fünfunddreissig Milliarden Turbowatt die Minute, die knapp sechs Prozent des Bedarfes einer kleineren Stadt mit fünfundzwanzig Millionen Arbeitseinheiten decken kann. Die Nummer Eins Priorität bei Sgodaroff ist die Rentabilität des investierten Kapitals, klar, für unsere Aktionäre, die uns bei der Arbeit grosse Spielräume lassen, so lange die Zahlen stimmen und sie glücklich dabei sind. Ich frage, wer für die Reinigung der Systeme zuständig ist, eine delikate Angelegenheit, eine kritische Frage, wenn man so will. Die Sgodaroff Gruppe hat die Nürnberger Verträge für die Förderung von Robotern bei der Reinigung der Reaktoren der Klasse 7 abgelehnt und nie unterzeichnet. Der P.R. Manager nickt vorbereitet und weiss warum: Sgodaroff hat, im Unterschied zu den meisten anderen Atomanlagen, noch nie einen Unfall gehabt. Warum? Weil Sgodaroff, bei der Reinigung der Systeme, eben Menschen benutzt, und keine Maschinen, ganz einfach. Die sind nämlich zuverlässiger, und um ein Vielfaches billiger. Ausserdem bekommen die Familien ordentliche Checks für diejenigen von ihnen, also alle, die verloren gehen. In anderen Worten: eine hundertprozentige Investition in die Zukunft. Ohne Risiko. Nicht genug, schauen Sie in diesem Energieplan, Abschnitt 18: die Einwohner der Zone 13, jeder einzeln, Hunde, Katzen und Ratten inklusive, erhalten -automatisch und unbürokratisch- Anrecht auf ein Prozentsatz kostengünstigerer Energie. Das ist ein guter Ort hier, ein sehr menschlicher.
Ich fühle mich plötzlich ein wenig schlapp, und habe auch eigenartige Kopfschmerzen. Der Chefingenieur beruhigt mich, meint, das sei nur eine Frage der Gewöhnung und eine der Zeit. Es gibt hervorragende Medikamente, versichert er, wirken durch alle Phasen hindurch Wunder. Ein alter Mann gesellt sich zu unserem gemütlichem Gespräch: sein graues Haar strahlt eine Aura der Autörität aus. Ich bin der Älteste hier, arbeite im Reaktor seit neun Monaten, seit meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag. Neben ihm, an seiner rechten Seite, erscheint ein Arbeiter im overall, der keine Augen im Gesicht hat. Er krümmt sich etwas nach vorn und muss unkontrolliert kotzen. Reines Blut fliesst aus seinem Mund und landet auf dem Boden, aber das ist nicht wirklich ein Problem, wegen der Abflussmöglichkeiten im Raum, wegen der Hartplastik des Bodens und dessen Farbe: ein wunderbares Weinrot, der das Blut in sich aufnimmt, als sei es frisch aus der Flasche geschenkt. Die Atmosphäre wird familiär. Ich glaube, ich muss nächstes Jahr meine neuen Freunde im Sgodaroffreaktor wieder besuchen kommen. Wenn sie noch da sind. Wenn nicht, werde ich Neue machen. Die falschen Menschen sind an der Macht, die Falschen haben keine. Die falschen Leute sind im Knast, die Falschen aus dem Knast. Wow!, das war wirklich ein irrer Gedanke, den ich gerade hatte! Das muss das Ding mit der Radioaktivität sein! Interessant. Vielleicht kann ich etwas davon im Sgodaroff Souvernirshop kaufen. Ich hab da Postkarten mit grünen Menschen gesehen, den Computer bei der Kasse gefragt, ob das real ist. Er hat ja geantwortet. Wow, grüne Menschen. Ich gehe jetzt lieber nach Hause, weiss nun, dass es gut ist Energie zu verbrauchen. Sgodaroff hat mich an eine grosse Kirche erinnert. Ich hatte auch eine spirituelle Erfahrung. Die Macht gefühlt, Gott.