Ich spaziere schweigend durch die Strassen Berlins und frage mich wo diese Stadt anfängt und wo sie aufhört. An einer Stelle, wo der Bürgersteig schmal wird, kommt eine Frau mit einem vollgepackten Kinderwagen mir entgegen. Drinnen schreit ein Kind wie ein Wahnsinniger: Berlin! Ich erwidere das Lächeln nicht, gehe weiter und denke an den Schrei. Kann dieses städtische Agglomerat wirklich einen Namen haben? Kann eine Person vernünftiger Weise behaupten: ich bin jetzt in Berlin? In Schoeneberg, Mitte, Wedding, Marzahn, Neukölln, Zehlendorf, Dahlem, Reinickendorf…
Berlin…?
Ich bin in Prenzlauer Berg, jetzt nehme ich die U-Bahn und fahre nach Kreuzberg.
Eine andere Frau, sie auch Mutter, ohne Kinderwagen, das Baby auf dem Arm, sagt dies einem Smartphone. Ich höre zu, rufe links und wieder rechts, die Strasse da, die U-Bahn dort, doch nichts, Frau und Kind schreiten fort, ignorieren, falsche Richtung, Zeit verlieren. Im Park, vor dem Spielplatz, beobachte ich nun Linden und höre eine Stimme, die eines Kindes, die von unten kommt.
Wo sind wir?
Ich schaue das Kind nicht an, sag: in Berlin, ja ja…, setze meinen Spaziergang fort und nähere mich zwei schwangeren Frauen an, die sich antizipatorisch an Spielplätze gewöhnen, und mische mich auffällig in ihre Diskussion ein. Ihre Gedankengänge sind im Zusammenhang verständlich, dabei fällt auf, dass eines der Kinder im Mutterleib seiner Hülle einen Fusstritt verpasst. Ich, hingegen, bekomme auf meinem Genick einen Ball geschossen. Auf der Wiese mit den Blumen rennt ein Junge mit schreiender Stimme und erhobenen Armen:
Tooor! Rankkonen! Toor!
Wenigstens habe ich den Ball jetzt, denke ich, wenigstens kann ich jetzt kicken. Just aber als ich das Leder aufheben möchte, eilt unter meinen Beinen eine Rotznase, die das Laufen erst seit Kurzem erlernt hat, und schnappt ihn mir vor den Augen weg. Nicht genug: der Balg lächelt höhnisch und brüllt mit metallener Stimme: wo gehst du hin?, wo gehst du hin?
Ich weiss wohin, eile dem Bengel nach, will eine faire, politisch korrekt und dennoch nachhaltige Lektion erteilen, stolpere aber über einen Kinderwagen, einen Neuen. Mein Flug in der Luft muss spektakulär sein, viel Gelächter, auch die Landung ist nicht ganz ohne: als ich die Augen wieder aufmache, sehe ich unmittelbar vor meiner Nase, umrahmt von etwas Blut, das Gesicht des Babys, das mich in seinem Territorium willkommen heisst, amüsiert Beifall zwitschert und mir auf die Stirn spuckt. Die Mutter des Neugeborenen ist nicht annähernd so zärtlich, sie benutzt ihren Regenschirm und haut vorwiegend auf den Rücken. Insistierend, mit wütender Stimme, ihr Schrei: Wo glaubst du eigentlich wo du hier bist?
Ich weiss es wirklich nicht, das habe ich ja bereits gesagt, und so komme ich auf die Idee abends zu einer Bar zu fahren, die für harte Rockkonzerte bekannt ist: S-Bahn Richtung Lichtenberg. Da ist nicht so gefährlich und trotzdem Berlin. Oder etwa nicht?